Silicon Valley Mindfuck

Burning Man

Californian Ideology ohne Sonne: Alt-Right, NRX und Silicon Valley

Die faschistische Vision von Platons Staat, in der sich Cyborgs und Feudalismus, Silicon Valley Start-up, New Age und Menschenzucht vereinen, heißt Neoreaktion, oder schlicht NRX.

I.

Als 1986 am Baker Beach (San Franzisco) 20 anarchistische Bohemians, Hippies und Künstler mit Pick Ups und Strandbuggys über den Strand rasen, mit Schrotflinten herumballern und ein riesiges Feuer entzünden, begründen sie  das „bacchanalia in the badlands“, den Burning Man. Seither zieht das ehemalige Anarcho-Gathering bis zu 80.000 jährlich Besucher in die Wüste Nevadas. Dann treffen hier Hippies, Freaks und Exzentriker auf CEOs, Risikokapitalisten, Start-up-Gründer und Technologieunternehmer. Die Elite Silicon Valleys fliegt mitsamt Londoner Urheberrechtsanwältinnen und New Yorker Yoga-Lehrern im Privatjet ein, installiert Yurten mit Klimaanlagen und networked auf hyperexklusiven Partys mit Einlasskontrollen und europäischen Models: Kosten bis zu $16,500 pro Kopf.

Die Fortune 500 von Elon Musk über Mark Zuckerberg, von den Google-Gründern Sergey Brin und Larry Page bis Eric Schmid, betrachtet den Burning Man als neuntägigen Kreativitäts-Booster und ferner als spirituellen Trip: „Wir“, sagt Fabian Piorkowski, Ex-Banker und Ayahuasca-Guru für Prominente , „sind die, denen nicht nur die Erde, sondern der Himmel offen steht (…) Wir sind die, die reisen können. Wir können nicht jedem dieses Reisen ermöglichen; das würde ein prinzipielles, kosmisches Ungleichgewicht erzeugen.“

Die Tech-Ingenieure und -Investoren teilen mit der libertäten Gegenkultur einerseits die Suche  nach Gemeinschaftserfahrung, Spiritualität und unkonventionellem Denken, andererseits den den  Willen zur Selbstoptimierung und eine Scheiß-auf-die-Weltsicht-aller-Anderen-Arroganz.

Die „craziest chefs in the world“ sind die ultralibertäre Ausprägung der populistischen Alt-Right. Diese neuen amerikanischen Rechten propagieren als Enkel Ayn Rands die prinzipielle Ungleichheit aller Menschen. Feiern ferner die Überlegenheit des individualistischen Unternehmers. Im Unterschied zur konservativen Rechten propagieren sie neoreaktionäre Politik, genauso wie progressiven Lifestyle.

Californian Ideology

Richard Barbrook und Andy Cameron haben ähnliche Überlegungen im dotcom-Neoliberalismus der 1990er-Jahre als Californian Ideology bezeichnet . Während man die Regierung ablehnt, verherrlicht man den Markt als selbstregulierendes System: „CEO can make decisions that would be necessarily beneficial because they’d be financially profitable.“ Diese Marktradikalität verknüpft sich mit dem kommerzialisierten Erbe der kalifornischen Hippie-Bewegung. Deshalb propagieren Big Business und Big Media flache Hierarchien und New-Age-Spiritualismus. CEOs  pflegen den easy-going swag von Surfern und Skatern,  leben Veganismus und Drogenkonsum als Freizeitgestaltung (Steve Jobs bevorzugte Kandidaten mit LSD-Erfahrung in seiner Führungsriege).

Jetzt werden ehemals subversiv gedachte Mentalitäten zu Machtmitteln und Herrschaftstechniken: Produkte verkaufen sich mit Hilfe einstmals subversiv gedachter Guerilla-Techniken wie dem Ad-bustin, Büroalltag bei Google wird als als anarchistische Temporär Autonome Zonen organisiert.

In all ihrer selbstversicherten  Überlegenheit sehen sich Leute wie Oligarchen Musk, Thiel, Zuckerberg etc als Menschenfreunde, weil sie alle Lifestyle-Entwürfe, Identitäts-,Geschlechter- oder Rassenkonstruktionen koexistieren lassen. Zizek (et al) haben schon in den 1990er-Jahren bemerkt, dass im Spätkapitalismus die postmoderne Flexibilität der Subjektkonstruktionen, dem Ausbeutungsverhältnis nicht widersprechen muss. Man hat dies im Bezug auf New Labour und Tony Blair so polemisiert: die Öffentlichkeit verzeihe einem Politiker heute Bombardements mit Drohnen, wenn er sich nur für die Homo-Ehe ausspreche.

Diese Aneignung emanzipativer Positionen durch die Macht, man könnte auch von der Hegemonialwerdung eines kulturliberalen Mainstreams sprechen, soll von der Klassen- und Herrschaftsfrage ablenken: Während jede noch so kleine Identitäten-Gruppe ihre Befindlichkeiten öffentlich thematisiert, werden Gemeingüter, Gesundheits- und Sozialfürsorge privatisiert. Während sich der postmoderne Einzelne selbst konstruiert, wird er vom Wohlwollen der Privilegierten abhängig.

Tech-Bro-Sozialdarwinismus

So führt diese „Californian Ideology ohne Sonne“ zu einer Entfesselung des totalen Kapitalismus: Öffentliche Institutionen und Dienste werden zerschlagen, Allgemeingüter wie Wasserversorgung, Transport und Bildung werden privatisiert, alles – von genetischen Codes über Medikamente zu Pflanzensorten – wird zur Ware.

Denn nicht selten paart sich schon jetzt der Turbokapitalist mit dem Faschist. Im Glauben an die absolute Herrschaft der genetisch, intellektuell und finanziell Leistungsfähigsten,

denken die mehrheitlich weißen Tech-Bros  aus Silicon Valley die sozialdarwinistische Auslese explizit rassistisch, wenn sie begründen ihr Anrecht auf Weltherrschaft mit einer angeblichen Ungleichverteilung der Intelligenz begründen: Die „Natur“ hätte Weiße vor Asiaten und Juden begünstigt, Schwarze und Latinos benachteiligt. Schon William Bradford Shockley, Physiknobelpreisträger und Gründer von Silicon Valley, hatte eine Spermienbank für rein weiße Hoch-IQ-Spender initiiert.Ein Netzwerker der Kapital-Elite wie Jeffrey Epstein war von der genetischen Überlegenheit der weißen Rasse überzeugt und plante auf seiner Ranch in New Mexiko eine „Zuchtstation“, wo ausgewählte weiße Frauen exklusiv mit seinem Samen befruchtet werden sollten.

Bei Vorträgen in Harvard und Stanford agitierte er gegen Nahrungsprogramme und Gesundheitsvorsorge. Er sprach sich für Eugenik aus und investierte gleichzeitig in Kryonik, also in das Einfrieren des Körpers nach dem Tod. Leute wie Epstein, Elon Musik oder der PayPal-Gründer Peter Thiel sehen sich selbst als genetisch und intellektuell auserwählte Übermenschen: Real Life Iron Man. Elon Musk will seinen Ruhestand auf dem Mars genießen, Peter Thiel investiert in Parabiosis, einer Technik des Blutaustausches zwischen Jung und Alt,  einer schon von den Biokosmisten der  Bolschewiki vertretenen Technik zur Aufhalten des Alterungsprozess. Ihre totale Entfesselung des Kapitalismus soll die Monopol-Herrschaft der Konzerne garantieren: “A startup“, so Peter Thiel, „is basically structured as a monarchy.” Der Stanford Professor und Milliardeninvestor Balaji Srinivasan wünscht sich das Aufspalten der Gesellschaft in Mini-Monarchien, die von CEOs regiert werden und selbst die ehemalige Occupy-Wallstreet-Aktivistin  und Software-Entwicklerin Justine Tunney fordert 2014 die Übernahme der US-Regierung durch die Tech-Industrie . Sie empfiehlt Eric Schmid als CEO der Vereinigten Staaten.

Neofeudalismus

In neo-feudalen Strukturen sehen sie den besten Chancen auf die Realisierung eines obskuren Freiheitsbegriffs, der nichts mit Universalismus, Chancengleichheit oder Demokratie zu tun hat, sondern sich darauf beschränkt, ungehindert so viel Geld wie möglich verdienen zu dürfen und technologische Entwicklungen rücksichtslos voranzutreiben.

Der Google-Gründer Larry Page forderte die Einrichtung von Beta-Test-Ländern – letztlich Trumps „shithole countrys“ – wo soziale, gentechnische, biologische etc Experimente durchgeführt werden können, ohne die ganze Welt zu gefährden. Peter Thiel und Patri Friedman sind mit ihren Engagements für das  Projekt Seasteading schon einen Schritt weiter: Sie errichten  Siedlungen auf hoher See, außerhalb nationalstaatlicher Hoheitsgebiete, wo nicht nur wissenschaftliche Experimente unreguliert vorangetrieben werden, sondern Freihandelszonen und Steueroasen errichtet werden können.

Patri Friedman ist – nebenbei gesagt – der Enkel des Neoliberalismus-„Papstes“ Milton Friedman, den Naomi Klein als einen der schlimmsten Verbrecher des 20. Jahrhunderts bezeichnet hat. In Die Schock Strategie zeigt sie, wie Friedman in Theorie und Praxis u.a. für die faschistoiden Diktaturen in Lateinamerika verantwortlich ist.

Trotz aller ideologischen Heterodoxien und Paradoxien, trotz aller „linken“ Lifestyle-Konzepte stehen die Neoreaktionäre des  libertäten Silicon-Valley-Kapitalismus Seite an Seite mit dem hinterwäldlerischsten White Supremacy-Faschisten: Sie sehnen sich nach überlegenen Herrschern in absolutistischen Führerstaaten, die sich wahlweise durch Hautfarbe, Rasse und Klasse oder durch Geld, Technikbeherrschung und Intelligenzquotient legitimieren. Sie feiern den Krieg „Aller gegen Alle“ und das antike Wettkampfprinzip des ἀγών: Der Stärkste habe sich durchzusetzen. Sozialstaat, Menschenrechte und Gleichheit sind für sie ein Widerspruch zur „Natur“ des Menschen. Es gilt die ur-faschistische Überzeugung: Für alle reicht es nicht – nicht einmal für eine Yurte am Burning Man.